Ist das Thema Rassismus angesichts der Kontinuität rassistischer Denk- und Handlungsweisen in Deutschland zuletzt immer wieder Gegenstand öffentlicher Debatten geworden, so kommt diesem zugleich auch in der beruflichen Praxis vieler Mitglieder des AK Ruhr eine wichtige Bedeutung zu. Grund genug sich im Rahmen der Plenumssitzung des AK Ruhr am 17.03.2021 dem Thema Rassismus anzunehmen. Im Fokus der Sitzung standen dabei zwei Themenschwerpunkte, zum einen das Konzept der Critical Whiteness, zum anderen die Frage nach den Anforderungen an eine rassismuskritische Bildungsarbeit. Zu Gast waren die beiden Referentinnen Sophie Irmey und Anne Broden, welche jeweils einen Vortrag zu einem der Schwerpunkte hielten.
Sopie Irmey stellte in ihrem Vortrag zunächst das Konzept der Critical Whiteness vor. Ausgehend von der Feststellung eines in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft wirkenden Rassismus und einem gleichzeitigen Unwillen über diesen zu sprechen, ergeben sich der Referentin zufolge verschiedene Voraussetzungen und Leitfragen für eine Kritik des Rassismus. Grundsätzlich gelte es, Rassismus als eine gesamtgesellschaftliche Erscheinung zu akzeptieren und unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Des Weiteren müsse geklärt werden, wie rassistische Verhältnisse funktionieren, wie das eigene Verhalten in rassistische Strukturen eingebunden ist und welche Handlungsmöglichkeiten sich gegen Rassismus entwickeln lassen.
Das Konzept der Critical Whiteness gehe davon aus, dass Rassismus das Resultat einer von Weißen geschaffenen ideologischen Konstruktion von Hautfarben sei, wobei das Weißsein die mit Privilegien verbundene gesellschaftliche Norm darstelle. Die explizit politischen Kategorien weiß und Schwarz sollen die rassistischen Verhältnisse sichtbar machen, insbesondere die Dominante aber als Norm unsichtbare Position der Weißen. Die Verstrickung der Weißen in rassistische Strukturen zeige sich dann in der Reflektion auf die eigenen Privilegien. Im Konzept des Allyship wird das kritische Weißsein in eine antirassistische Praxis übersetzt, welche die Übernahme von Verantwortung für Rassismus und die ständige Reflektion auf die eigenen Privilegien umfasse. Von zentraler Bedeutung sei in diesem Zusammenhang ein aktives und vor allem dauerhaftes Eintreten gegen Rassismus, d.h. auch in schwierigen Situationen, in denen dafür kein Zuspruch zu erwarten ist.
Im zweiten Teil der Sitzung referierte Anne Broden zu der Frage nach den Anforderungen an eine rassismuskritische Bildungsarbeit. Dabei betont sie zunächst die Bedeutung des Austausches zwischen Theorie und Praxis, welche sich insbesondere dann zeige, wenn Rassismus allein an Individuen festgemacht wird und nicht an Strukturen, Institutionen und den gesellschaftlichen Vorstellungen von Normalität. Diese bilden, so Broden, die Basis für rassistische Handlungen, wenngleich auch die jeweilige individuelle Verantwortung nicht vergessen werden dürfe. Grundsätzlich sei die rassismuskritische Praxis durch verschiedene Spannungsverhältnisse gekennzeichnet, wie die Konstruktion des Anderen als Anderen. Indem eine Person begrifflich gesondert gekennzeichnet wird, beispielsweise als BPoC (Black Person of Color) oder Geflüchtete, werde sie als Andere konstruiert. Es sei zwar wichtig, Differenzen zu erkennen und benennen zu können, da andernfalls Diskriminierung unsichtbar bliebe, dennoch dürfen diese Differenzen nicht überbewertet und Individuum auf sie festgelegt werden. Neben einer solche Differenz- und Diskriminierungssensibilität sieht Broden u.a. ein Wissen um Ungleichheitsverhältnisse, einer Anerkennung von Mehrfachzugehörigkeit sowie Selbstreflexivität und Fehlerkultur als wesentliche Bestandteil rassismuskritischer Bildungsarbeit.
Auf dieser Grundlage formuliert die Referentin eine Reihe von Problem- und Fragestellungen, mit welchen sich Fachkräfte und Institutionen im Rahmen rassismuskritischer Bildungsarbeit auseinandersetzen sollten. Für Fachkräfte, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, stelle sich das Problem, dass die Aufhebung ihrer eigenen Privilegien zwar ein wichtiger Faktor in der Veränderung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse sei, Privilegien aber grundsätzlich ungern abgegeben werden. Mit Blick auf Institutionen gelte es u.a. zu klären, wer in diesen auf welchen Positionen arbeitet, ob die Vielfalt der Klient*innen sich in der Vielfalt der Fachkräfte widerspiegelt, ob es Möglichkeiten gibt, angstfrei über Rassismus zu sprechen und ob sich alle Mitarbeiter*innen sicher im Umgang mit Diskriminierung fühlen.
Beide Vorträge boten Anlass für Fragen und Diskussionen. Im Plenum wurde darüber diskutiert, inwiefern sich Diskriminierungserfahrung von als weiß gelesene Menschen, z.B. als Folge antislawischen Rassismus oder Antisemitismus, in dem Konzept der Critical Whiteness verorten lassen, wie sich das Konzept vermitteln lässt und wie in diesem Zusammenhang mit Unsicherheiten umgegangen werden kann. Insbesondere der Verweis auf die eigenen Verstrickungen in rassistische Strukturen läuft Gefahr, Abwehrreaktion hervorzurufen. Anne Broden verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass moralische Schuldzuweisungen meist kontraproduktiv sind und stattdessen gemeinsame Lern- und Reflektionsprozesse als Anknüpfungspunkt für eine rassismuskritische Intervention genutzt werden sollten. Offen blieb schließlich die Frage, inwiefern ideologische Komponenten des Rassismus sowie dessen gesellschaftlichen und ökonomischen Konstitutionsbedingungen im Konzept der Critical Whiteness unberücksichtigt bleiben.
Im Verlauf der Sitzung hat sich nicht nur gezeigt, wie komplex und umfangreich das Thema Rassismus ist, sondern auch, was für Schwierigkeiten sich in der theoretischen Konzeptualisierung wie auch in der rassismuskritischen Praxis zeigen. Insofern können die Beiträge der beiden Referentinnen und die anschließenden Diskussionen als Grundlage für eine vertiefenden Beschäftigung mit dem Themenfeld gesehen werden.